Von ETH-Forschenden neu entwickelte k¨¹nstliche Muskeln, die Roboter antreiben, haben gegen¨¹ber bisherigen Technologien mehrere Vorteile. Sie k?nnten ¨¹berall dort zum Einsatz kommen, wo Roboter nicht starr, sondern weich sein sollen oder sie mehr Gef¨¹hl im Umgang mit ihrer Umgebung brauchen.
In K¨¹rze
- Forschende der ETH Z¨¹rich haben k¨¹nstliche Muskeln entwickelt, die leichter, robuster und sicherer sind als ihre Vorg?ngermodelle.
- Die neu entwickelten Aktuatoren haben eine neuartige H¨¹llenstruktur und verwenden ein hoch-permittives ferroelektrisches Material, das verh?ltnism?ssig hohe Mengen an elektrischer Energie speichern kann.
- Sie funktionieren deshalb mit verh?ltnism?ssig geringer elektrischer Spannung, sind wasserdicht, robuster, und problemlos anfassbar.
Viele Robotiker und Robotikerinnen tr?umen davon, Roboter nicht nur aus Metall oder anderen harten Materialien und Motoren zu bauen, sondern sie weicher und anpassungsf?higer zu gestalten. Weiche Roboter k?nnten ganz anders mit ihrer Umwelt interagieren, sie k?nnten beispielweise wie die Gliedmassen von Menschen St?sse abfedern oder mit Feingef¨¹hl etwas greifen. Auch aus energetischer Sicht w?re dies interessant, denn bisherige Antriebe ben?tigen meist viel Energie, um eine Position halten zu k?nnen, w?hrend weiche Systeme Energie auch gut speichern k?nnen. Was liegt also n?her, als sich den menschlichen Muskel zum Vorbild zu nehmen und zu versuchen, dieses System nachzubauen?
Die Funktionsweise von k¨¹nstlichen Muskeln orientiert sich deshalb an der Biologie. Wie ihr nat¨¹rliches Gegenst¨¹ck ziehen sich die k¨¹nstlichen Muskeln bei einem elektrischen Impuls zusammen. Allerdings bestehen die k¨¹nstlichen Muskeln nicht aus Zellen und Fasern, sondern aus einem Beutel, der mit einer Fl¨¹ssigkeit ¨C meist ?l ¨C gef¨¹llt ist und dessen H¨¹lle Elektroden enth?lt. Erhalten diese eine elektrische Spannung, ziehen sie sich zusammen und dr¨¹cken die Fl¨¹ssigkeit in den Rest des Beutels. Der Beutel spannt sich und kann beispielsweise ein Gewicht anheben. Ein Beutel steht dabei analog f¨¹r kurzes B¨¹ndel an Muskelfasern, verbindet man mehrere davon, entsteht ein volles Antriebselement, das auch als Aktuator bezeichnet wird oder eben als k¨¹nstlichen Muskel.
Zu hohe Spannung
Die Idee, k¨¹nstliche Muskeln zu entwickeln, ist nicht neu, nur gab es bis jetzt ein wesentliches Problem bei der Umsetzung: Die Aktuatoren funktionierten nur mit einer enorm hohen Spannung von ca. 6 bis 10 Tausend Volt. Das hat gleich mehrere Auswirkungen. So mussten diese bis jetzt an grosse, schwere Spannungsverst?rker angeschlossen werden, sie funktionierten nicht in Wasser und waren auch f¨¹r Menschen nicht ganz ungef?hrlich. Robert Katzschmann, Robotikprofessor an der ETH Z¨¹rich, Stephan-Daniel Gravert und Elia Varini haben zusammen mit einem Forschungsteam in externe SeiteScience Advances ihre Version eines k¨¹nstlichen Muskels vorgestellt, die gleich mehrere Vorteile aufweist.
Gravert, der als wissenschaftlicher Assistent bei Katzschmann im Labor arbeitet, hat eine neuartige H¨¹lle f¨¹r den Beutel konzipiert. Die Forschenden nennen die neuen k¨¹nstlichen Muskeln Halve-Aktuatoren, eine Abk¨¹rzung f¨¹r ?hydraulically amplified low-voltage electrostatic?, zu Deutsch also hydraulisch verst?rkter elektrostatischer Niederspannungs-Aktuator. ?Bei anderen Aktuatoren liegen die Elektroden aussen an der H¨¹lle. Bei unseren besteht die H¨¹lle aus verschiedenen Schichten. Wir haben ein hoch-permittives ferroelektrisches Material, also eines, das verh?ltnism?ssig hohe Mengen an elektrischer Energie speichern kann, kombiniert mit einer Schicht aus Elektroden und diese dann mit einer Polymer-H¨¹lle ¨¹berzogen, die sehr gute mechanische Eigenschaften hat und den Beutel stabiler macht?, erkl?rt Gravert. Dadurch konnten die Forschenden auch die ben?tigte Spannung reduzieren, weil die viel h?here Permittivit?t des ferroelektrischen Materials grosse Kr?fte trotz geringer Spannung zul?sst. Gravert und Varini haben die H¨¹lle der Halve-Aktuatoren ¨¹brigens nicht nur mitentwickelt, sondern sie auch gleich noch selbst im Labor f¨¹r zwei konkrete Roboter hergestellt.
Greifer und Fisch zeigen, was der Muskel draufhat
Die Forschenden veranschaulichen das Potenzial der Neuentwicklung in der Studie an zwei robotischen Beispielen. Ein 11 Zentimeter hoher Greifer hat zwei Finger, die durch je drei hintereinander geschaltete Beutel des Aktuators bewegt werden. Er wird dazu ¨¹ber ein kleines, batteriebetriebenes Netzteil mit 900 Volt Spannung versorgt. Akku und Netzteil wiegen zusammen nur 15 Gramm. Der gesamte Greifer wiegt inklusive Leistungs- und Regelungselektronik nur 45 Gramm. Der Greifer kann ein glattes Kunststoffobjekt ausreichend fest greifen, um sein eigenes Gewicht zu tragen, wenn das Objekt mit einer Schnur in die Luft gehoben wird. ?Dieses Beispiel zeigt sehr gut, wie, klein, leicht und effizient diese Aktuatoren sind. Das bedeutet auch, dass wir dem Ziel, integrierte muskel-betriebene Systeme zu erschaffen, einen grossen Schritt n?hergekommen sind?, freut sich Katzschmann.
Das zweite Objekt ist ein knapp 30 Zentimeter langer Fisch, der geschmeidig durchs Wasser schwimmt. Der Roboterfisch besteht aus einem Kopf, der die Elektronik enth?lt, und einem flexiblen K?rper, an dem die Halve-Aktuatoren befestigt sind. Diese Aktuatoren bewegen sich abwechselnd rhythmisch, was die Schwimmbewegung erzeugt. So erreicht der kabellose Fisch aus dem Stillstand in 14 Sekunden eine Geschwindigkeit von drei Zentimeter pro Sekunde ¨C und das wohlgemerkt in normalem Leitungswasser.
Wasserdicht und sich selbst-verschliessend
Das ist wichtig, denn es zeigt eine weitere Neuerung der Halve-Aktuatoren: Da die Elektroden nicht mehr ungesch¨¹tzt aussen an der H¨¹lle sitzen, sind die k¨¹nstlichen Muskeln nun wasserdicht und k?nnen auch in leitenden Fl¨¹ssigkeiten eingesetzt werden. ?Mit dem Fisch k?nnen wir auch einen generellen Vorteil dieser Aktuatoren veranschaulichen ¨C die Elektroden sind vor der Umwelt gesch¨¹tzt und umgekehrt ist auch die Umwelt vor den Elektroden gesch¨¹tzt. Man kann diese elektrostatischen Aktuatoren also im Wasser betreiben oder zum Beispiel anfassen.?, erkl?rt Katzschmann. Und noch einen Vorteil hat der schichtartige Aufbau der Beutel: Die neuen Aktuatoren sind wesentlich robuster als andere k¨¹nstliche Muskeln.
Die Beutel sollen sich ja idealerweise sehr viel und schnell bewegen. Nur kleinste Produktionsfehler ¨C etwa ein Staubkorn zwischen den Elektroden ¨C kann dabei zu einem elektrischen Durchschlag f¨¹hren - einer Art Mini-Blitzschlag. ?Bei fr¨¹heren Modellen hiess das: die Elektrode verbrennt, es entsteht ein Loch in der H¨¹lle, die Fl¨¹ssigkeit tritt aus und der Aktuator ist defekt?, erkl?rt Gravert. Bei den Halve-Aktuatoren ist dieses Problem gel?st, denn ein einzelnes Loch verschliesst sich durch die sch¨¹tzende Kunststoff-Aussenschicht quasi von selbst. Der Beutel bleibt auch nach einem Durschlag meist voll funktionsf?hig.
Die beiden Forschenden freuen sich sichtlich, die Entwicklung k¨¹nstlicher Muskeln einen entscheidenden Schritt vorangebracht zu haben, doch sind sie auch realistisch. Katzschmann sagt: ?Nun muss diese Technologie zur industriellen Reife gebracht werden, das k?nnen wir nicht hier im ETH-Labor leisten. Ohne zu viel verraten zu wollen, kann ich aber sagen, dass es bereits Interesse von Firmen gibt, die mit uns zusammenarbeiten m?chten.? M?glich w?re zum Beispiel, dass k¨¹nstliche Muskeln dereinst bei neuartigen Robotern, Prothesen oder sogenannten Wearables, also am K?rper getragene Technologien, eingesetzt werden.
Literaturhinweis
Gravert SD, Varini E, Kazemipour A, Michelis MY, Buchner T, Hinchet R, Katzschmann RK: Low-voltage electrohydraulic actuators for untethered robotics. Science Advances, 5. Januar 2024, doi: externe Seite10.1126/sciadv.adi9319